In unserer Studie verfolgen wir einen dreiteiligen Bewertungsansatz. Er umfasst zunächst die Einbeziehung von Praxisexperten in
verschiedenen Phasen. Zweitens bewerten wir die Attraktivität von Regionen im Untersuchungsgebiet hinsichtlich ihrer Eignung für gemeinsame Lagerstandorte anhand
einer Nutzwertanalyse und spezifischer Standortkriterien. Schließlich entwickeln wir Standortzuweisungsmodelle, die optimale Netzwerke von gemeinsam genutzten
Lagerstandorten bestimmen.
Wir evaluieren das vorgeschlagene Modell einer PPEC anhand einer Fallstudie in Deutschland im Bundesland Baden-Württemberg (BW). Eine öffentliche Behörde
und private Unternehmen entscheiden gemeinsam über Standorte für Lager mit doppeltem Verwendungszweck. Bei der öffentlichen Behörde handelt es sich um
das
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
(das zuständige Landesministerium), das für die Notfallversorgung mit Lebensmitteln in Krisenzeiten zuständig ist. Bei den Unternehmen handelt es sich um
Lebensmitteleinzelhändler, die über Lager in ihren Logistiknetzen verfügen, welche sowohl von den Unternehmen als auch von behördlicher Seite genutzt werden sollen.
Die Standorte in unserer Fallstudie sind Gemeinden, d.h. LAU2-Regionen, wie sie von der Europäischen Union definiert sind (EU, 2020). Um die Regionen im
Untersuchungsgebiet zu bewerten, verwenden wir unseren dreiteiligen Bewertungsansatz, um geeignete Kriterien, Messgrößen und Gewichtungen zu ermitteln.
Bewertung der Attraktivität von Regionen
Die Attraktivität einer Region wird mit Hilfe einer Nutzwertanalyse bestimmt, bei der relevante Kriterien auf der Grundlage einer Literaturrecherche ermittelt
und mit Hilfe von Experten nach ihrer Bedeutung gewichtet werden. Der Vergleich der Ergebnisse erfordert die Umwandlung und Standardisierung aller Metriken auf
denselben Wertebereich, um eine einheitliche Punktzahl zu erhalten. Außerdem wird zwischen Nutzenkriterien und Kostenkriterien unterschieden. In diesem Zusammenhang
sind hohe Werte für die Nutzenkriterien erwünscht, während niedrige Werte für die Kostenkriterien bevorzugt werden. Abschließend wird die endgültige regionale
Attraktivität aus der (Kriterien-)gewichteten Summe der normierten Metriken berechnet. Mit Hilfe ausgewählter Kriterien und Gewichtungen (siehe interaktive Abbildung 1),
werden die Regionen im Untersuchungsgebiet bewertet. Demnach sind die Verfügbarkeit und Qualifikation der Arbeitskräfte sowie die allgemeinen Arbeitskosten
die wichtigsten Kriterien für den Lebensmitteleinzelhandel. Im Gegensatz dazu sind die Verfügbarkeit von Transportmitteln und die Belastbarkeit und Qualität
der Transportinfrastruktur die wichtigsten Kriterien für Notlager.
Die detaillierte Analyse zeigt, dass die Regionen im Zentrum von BW die höchste Punktzahl
für den kommerziellen Wert erreichen. Gut verfügbare Arbeitskräfte und die IT-Infrastruktur sind die Hauptfaktoren für diese Punktzahl. Im Gegensatz dazu besteht
die Notfall-Punktzahl aus gemischten Clustern, die vor allem durch die IT-Infrastruktur und die Entfernung zu Großstädten bestimmt werden. In der interaktiven Abbildung 2 sind die
kombinierten Werte für die Gemeinden in BW hervorgehoben und zeigen Regionen, die für beide Akteure in Frage kommen. Folglich sind mehrere Regionen im Nordwesten
von BW für beide Akteure sehr attraktiv, während Regionen im Südwesten vergleichsweise niedrige Werte aufweisen.
Diese Attraktivitätswerte werden nun als Eingangsdaten für das Optimierungsmodell verwendet, ebenso wie die generierten Kostendaten zu Transport, Lagerhaltung
und Entfernung. Auf dieser Grundlage berücksichtigt das Optimierungsmodell mehrere Ziele, um die Beziehung zwischen Attraktivität und Logistikkosten sowie
Attraktivität und sozialen Kosten zu berücksichtigen, die sowohl Logistik- als auch Leidenskosten umfassen.
Leidenskosten entstehen, wenn Menschen nicht angemessen versorgt werden können, z. B. mit Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern oder Unterkünften, und daher
zunehmend leiden, je länger sie auf dieses Gut verzichten müssen. Leidenskosten werden zumeist als Exponentialfunktion betrachtet, was bedeutet, dass das Leiden
im zeitlichen Verlauf betrachtet zunächst nur leicht ansteigt, je länger eine Unterversorgung vorliegt, das Leiden umso stärker ansteigt. Die Anwendung von
Leidenskosten wird in der Literatur breit diskutiert und kann auf verschiedene Weise definiert werden (siehe z. B. Shao et al., 2020
1 für eine aktuelle Übersicht).